Chang’e 6 (chinesisch 嫦娥六號 / 嫦娥六号, Pinyin Cháng'é Liùhào) ist eine geplante unbemannte Sonde der Nationalen Raumfahrtbehörde Chinas, die 2024 mit einer Trägerrakete vom Typ Langer Marsch 5 vom Kosmodrom Wenchang auf Hainan gestartet werden und Bodenproben vom südlichen Rand des Südpol-Aitken-Beckens auf der erdabgewandten Seite des Mondes zurück zur Erde bringen soll.[1][2] Dies ist die zweite Probenrückführmission im Rahmen des Mondprogramms der Volksrepublik China, der Name leitet sich von der chinesischen Mondfee Chang’e ab.
Chang’e 6 | |
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NSSDC ID | (noch nicht vergeben) |
Missionsziel | ErdmondVorlage:Infobox Sonde/Wartung/Missionsziel |
Auftraggeber | CNSAVorlage:Infobox Sonde/Wartung/Auftraggeber |
Trägerrakete | Langer Marsch 5Vorlage:Infobox Sonde/Wartung/Traegerrakete |
Aufbau | |
Startmasse | 8,25 tVorlage:Infobox Sonde/Wartung/Startmasse |
Verlauf der Mission | |
Startdatum | 2024 (geplant)Vorlage:Infobox Sonde/Wartung/Startdatum |
Startrampe | Kosmodrom WenchangVorlage:Infobox Sonde/Wartung/Startrampe |
Im Zusammenhang mit der Mission Chang’e 5, die Proben vom Vulkanmassiv Mons Rümker im Oceanus Procellarum zurückbringen sollte, hatte man, wie bei Chang’e 3, neben der eigentlichen Sonde auch eine Reservesonde vorbereitet.[3] Nach einem Fehlstart der Trägerrakete Langer Marsch 5 am 2. Juli 2017 verschob sich der Start von Chang’e 5 auf November 2020; die wesentlichen Komponenten der Reservesonde waren 2017 bereits fertiggestellt.[4] Noch während man bei der Rakete den Fehler suchte, beschloss man, bei einem Erfolg der Mission Chang’e 5 das Reserveexemplar unter der Bezeichnung „Chang’e 6“ für eine Probenrückführmission zum Südpol des Mondes zu schicken. Über Details wie die Frage, ob man auf der Vorder- oder der erdabgewandten Seite des Mondes landen sollte, wollte man erst nach dem Abschluss der Mission Chang’e 5 entscheiden. Dennoch unterzeichnete das französische Centre national d’études spatiales bereits am 25. März 2019 mit der Nationalen Behörde für Wissenschaft, Technik und Industrie in der Landesverteidigung eine Absichtserklärung über eine konkrete Zusammenarbeit bei den wissenschaftlichen Nutzlasten.[5] Neun Monate später, am 27. Dezember 2019, absolvierte die Trägerrakete nach zweieinhalbjähriger Pause einen erfolgreichen Start.
Im weiteren Verlauf wurde das Missionskonzept mehrfach geändert. So wollte man im Sommer 2020 nicht mehr die Reservesonde von Chang’e 5 verwenden, sondern einen mobilen Lander.[6] Wissenschaftler von der Fakultät für Raumfahrttechnik der Universität für Luft- und Raumfahrt Nanjing bauten 2021 einen 1,2 t schweren Prototyp, der dem Chang’e-3-Bus nicht unähnlich war, aber durch in die Stoßdämpfer der Landebeine eingebaute Aktoren jedes Bein in drei Richtungen bewegen konnte. Bei Tests im Labor wurde eine Schreitmethode erarbeitet, bei der immer drei Beine auf dem Boden blieben, während der Lander mit dem vierten Bein einen neuen Stand suchte. Der Lander bewegte sich dadurch sehr langsam, aber relativ sicher.[7] Im Dezember 2021 verkündete jedoch Wu Yanhua (吴艳华, * 1962), der stellvertretende Direktor der Nationalen Raumfahrtbehörde, dass man doch auf die Reservesonde von Chang’e 5 zurückgreifen und nur an einer Stelle Bodenproben entnehmen wollte.[3]
Was die Landestelle betraf, so hatte man sich bereits Anfang 2020 auf den inneren Ring des Südpol-Aitken-Beckens geeinigt. Diese Struktur hat die Form einer Ellipse mit einer Ausdehnung von 2400 km in Nord-Süd-Richtung und 2050 km in Ost-West-Richtung;[8] Chang’e 6 soll am südlichen Ende der Ellipse in Polnähe landen.[9] Dies gewann durch die Auswertung der von Jadehase 2 ermittelten geologischen Daten zusätzliche Bedeutung. Der Rover der Mission Chang’e 4 hatte im Von-Kármán-Krater mit seinem abbildenden Infrarotspektrometer, das eine bis dahin unerreichte räumliche Auflösung besitzt, eine mineralogische Zusammensetzung des Regoliths gefunden, die sich mit den gängigen Modellen für die Bildung des Südpol-Aitken-Beckens nicht in Einklang bringen ließ. Jadehase 2 verfügte jedoch nicht über die Möglichkeit für weitergehende Analysen wie eine Isotopenuntersuchung für eine genaue Altersbestimmung des Gesteins.[1] Hierfür wäre es nötig, Material in ein gut ausgestattetes Labor auf der Erde zu bringen.[10]
Ursprünglich sollte bei der Mission ein von Russland zur Verfügung gestellter Detektor für Oberflächeneis mitgeführt werden.[1] In China ist man in Bezug auf die praktische Nutzbarkeit von Mondeis jedoch eher skeptisch,[11] und aufgrund geopolitischer Verwerfungen war ab 2022 eine russische Mitarbeit an Raumfahrtprojekten mit einem Unsicherheitsfaktor behaftet. Als Wang Qiong (王琼) vom Zentrum für Monderkundungs- und Raumfahrt-Projekte der Nationalen Raumfahrtbehörde[12] am 21. September 2022 auf dem jährlichen Kongress der International Astronautical Federation in Paris die Internationale Mondforschungsstation vorstellte, erwähnte er Russland nicht mehr.[13] Stattdessen war Wu Yanhua, der den Kongress vorzeitig verlassen hatte,[14] mit einer chinesischen Delegation nach Islamabad gereist und hatte dort am 14. September 2022 mit Generalmajor Amer Nadeem, dem Direktor der Space and Upper Atmosphere Research Commission, ein Kooperationsabkommen über die Mitnahme des pakistanischen Cubesats iCUBE-Q bei der Mission unterzeichnet.[15][16] Pakistans erster Cubesat iCUBE-1 war am 21. November 2013 vom Kosmodrom Jasny in Russland gestartet.[17]
Die gut 8 m hohe Sonde wird unter Leitung der Chinesischen Akademie für Weltraumtechnologie gebaut, wobei die Shanghaier Akademie für Raumfahrttechnologie den Orbiter beisteuert. Beim Start hat die Sonde eine Masse von insgesamt 8,25 t, davon 5,45 t diergoler Treibstoff.[18] Chang’e 6 besteht aus vier Modulen:
Wie bei der Mission Chang’e 5 sind für die Probenentnahme zwei Tage eingeplant. Während dieser Zeit – beim Start der Aufstiegsstufe wird der Lander voraussichtlich beschädigt – sollen folgende Nutzlasten Daten sammeln:
Seitlich am Gehäuse des Landers befindet sich ein Laser-Retroreflektor des italienischen Istituto Nazionale di Fisica Nucleare zur Navigationserleichterung für Lander und Rover bei Folgemissionen im selben Gebiet (Chang’e 7 etc.).[16][22]
Bei der Mission Chang’e 5 hatten sich der Rückstart von der Mondoberfläche und das Koppelmanöver im Mondorbit durch den Mangel an Navigationssatelliten ausgesprochen schwierig gestaltet; die Techniker im Raumfahrtkontrollzentrum Peking mussten sich stark auf die künstliche Intelligenz der Raumflugkörper verlassen. Daher ist für Chang’e 6 und vor allem die bemannten Mondmissionen der Aufbau einer Lunaren Relais- und Navigationssatelliten-Konstellation (月球中继导航星座) ähnlich dem Beidou-System geplant. Die ersten Satelliten der Konstellation sollen nach Möglichkeit bereits 2023 starten, zwei schwere Trägerraketen vom Typ Langer Marsch 5 befanden sich im Juni 2022 im Bau.[23] Während es sich beim Relaissatelliten Elsternbrücke und dem Relaissatelliten der Mission Chang’e 7 um militärische Satelliten zur ausschließlichen Nutzung durch die Strategische Kampfunterstützungstruppe der Volksrepublik China handelt, lud die Nationale Raumfahrtbehörde Chinas hier am 24. April 2022 auch andere Staaten dazu ein, sich am Aufbau der Konstellation zu beteiligen und sie im Rahmen der Internationalen Mondforschungsstation zu nutzen.[24][25] Hierbei geht es nicht nur um die Erleichterung der Navigation bei Koppelmanövern durch präzise Orts- und Zeitbestimmung, sondern auch um die Übermittlung der bei dieser und zukünftigen Mondmissionen generierten Daten über das nach dem IPv6-Standard arbeitende interplanetare Internet.[26] Die Lunare Konstellation bildet hier die sogenannte „Vermittlungsschicht“ (Network Layer).[27]
Bezüglich der Zahl und Verteilung der Satelliten in der Konstellation gibt es unterschiedliche Ansätze. Gao Zhaoyang und Hou Xiyun von der Fakultät für Astronomie und Weltraumwissenschaften der Universität Nanjing waren 2020 zu dem Ergebnis gekommen, dass selbst mit mehreren Satelliten in Halo-Orbits zwar eine vollständige Abdeckung der Polregion, aber nicht der gesamten Mondoberfläche möglich wäre, was zum Beispiel Koppelmanöver in einem äquatorialen Orbit um den Mond Beschränkungen unterwerfen würde. Als Abhilfe schlugen die beiden Wissenschaftler vor, Satelliten in Halo-Orbits mit solchen in entfernten rückläufigen Orbits zu kombinieren. Mit drei Satelliten in Halo-Orbits und zwei in entfernten rückläufigen Orbits wäre eine ununterbrochene Abdeckung der gesamten Mondoberfläche möglich.[28] Auch Zhang Lihua von der Hangtian Dong Fang Hong Satelliten GmbH, der Herstellerfirma der Relaissatelliten, schlug im April 2021 eine Kombination von Satelliten in Halo-Orbits um die Lagrange-Punkte L1 und L2 und diversen Orbits um den Mond selbst vor.[27] Entfernte rückläufige Orbits sind theoretisch über einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren stabil. Real existierende Raumflugkörper besitzen jedoch nicht nur eine Masse, sondern auch ein Volumen und eine Oberfläche und sind daher zusätzlichen Kräften durch Ausgasen und Lichtdruck ausgesetzt. Das Raumfahrtkontrollzentrum Peking steuerte daher Ende 2021 den ausgedienten Orbiter von Chang’e 5 in einen entfernten rückläufigen Orbit von 70.000 × 100.000 km um den Mond, um die Auswirkungen dieser Faktoren zu testen.[29]
Chang’e 1 • Chang’e 2 • Chang’e 3 Jadehase • Chang’e 4 Jadehase 2 Elsternbrücke • Chang’e 5-T1 • Chang’e 5 • Chang’e 6 • Chang’e 7 • Relaissatellit (Chang’e 7)